Apple’s-Betriebssystem OS X ist seit zwei Wochen auf dem Markt

Ein Testbericht von Cherno Jobatey

Dateien sortieren, das könnte ich jetzt den ganzen Tag. Früher zog man sie nur lustlos hin und her, jetzt ist alles viel dramatischer: Die Datei windet und verformt sich. Eine Ecke wird immer länger, fährt runter zum Bildschirmrand und wird dann angezogen vom Dock, wie die neue Menüleiste am unteren Bildschirmrand heißt, und verschwindet darin wie Jeannie in der Flasche.

Animation wird groß geschrieben bei Apples neuem Betriebssystem mit der römischen Ziffer X. Auf dem Dock finden sich klein, aber deutlich sichtbar die Programm- oder Dateisymbole. Die verhalten sich so, wie man es von wahren Kaliforniern gewohnt ist: Bei jedem Mauskontakt blähen sie sich auf und fallen in sich zusammen, wenn die Maus ihnen keine Würdigung gewährt. Hat die Datei Glück und wird doppelt geklickt, dann springt sie freudig auf und ab, bevor sie loslegt. Braucht man sie nicht mehr auf der “Dockstange”, wird sie herausgezogen und verpufft als Wölkchen. Kaum zu übersehen, dass der Apple-Boss Steve Jobs schon länger als Nebenjob die Hollywood-Trickfilmbude Pixar betreibt.

Der Theaterdonner auf der Oberfläche lässt vergessen, worum es eigentlich geht: Die neue Generation ist keine Renovierung des alten Systems, sondern eine grundlegende Erneuerung. Mac OS X basiert auf der Großrechnersoftware Unix, die bereits 1969 in den legendären, weil so visionären Softwareschmieden AT&T Bell Laboratories entwickelt wurde. Vereinfacht gesagt, funktioniert Unix auf verschiedenen Ebenen: Die grundlegende Befehlsstruktur, der Kernel, sagt dem Rechner schlicht, was er machen soll.

Darüber liegt die Dateienschicht, auf der alles wie beim Militär streng hierarchisch zugeht. Darüber dann die für den Benutzer sichtbare Oberfläche, das Shell.

Unix ist sehr robust, stürzt fast nie ab. Deshalb benutzen Großfirmen für ihre Server auch so gerne Programme der Unix-Familie, sei es Linux, AIX oder Solaris. Nun schlägt also auch das Apple-Herz nach dem Rhythmus der Boxer, die nie umfallen. Nur das dröge Unix-Shell, in das man früher die Befehle als Zahlenkolonnen eingeben musste, ersetzte Apple durch seine bunten Animationen. Das bedeutet für den Mac-Nutzer: Wenn doch mal etwas abstürzt, geht nur die eine Anwendung in den Orkus und nicht das ganze System.

Vor nicht allzu langer Zeit brauchte man dafür schrankgroße, sündhaft teure Rechner, jetzt reicht mein Powerbook. Ich könnte absturzsicher ohne lange Rechenzeiten eine Big Band mit 64 Tonspuren in CD-Qualität aufnehmen und mixen, könnte Filme schneiden, vertonen und verfremden. Nichts ist mehr unmöglich. Wäre ich verrückt, könnte ich sogar meinem Finanzamtaushelfen, sollte dessen Rechner mal zusammenbrechen.

Der Weg dahin ist einfach: Selbst meine Mutter könnte das neue System installieren. Was man zuerst sieht, ist blau. Handbücher sind unnötig, auch wenn alles doch schon ein wenig anders ist. Aber auch alte Mac-Hasen gewöhnen sich schnell an die neue Umgebung.

Einige Details: Das Apfel-Menü dient nur noch der Systemsteuerung. Die häufig benutzten Anwendungen lagern nun im schon erwähnten Dock. Dort zeigen kleine Dreiecke an, welches Programm gerade geöffnet ist.

Einen Dateimanager wie bei Windows gab es bei Apple bis jetzt nicht. Der neue Finder verbindet nun die Vorteile der Mac- und der Windows-Welt. In den Finder-Fenstern erscheint oben eine Leiste mit den Verknüpfungen zu anderen Ordnern, und jetzt kann man wirklich alles per Alias verknüpfen.

Beeindruckend ist die Vorschaufunktion, die einen in ungeöffnete Dateien blicken lässt. Jedes Fenster hat links oben eine Ampel: Rot fürs Schließen, Gelb zum Verkleinern und Grün fürs Vergrößern. Ist das Fenster deaktiviert, wird die Titelleiste transparent.

Ein integriertes Mail-Programm zeigt auch schon, wohin die Richtung bei Anwendungen geht. Wenn es nicht aktiv ist und im Dock schlummert, zeigt es trotzdem an, wie viele Mails kommen. Unerwünschte Werbepost kann man zurückschicken (klasse!).

All diese eindrucksvollen Neuerungen lassen einen auch gnädiger auf die Tatsache blicken, dass die Software eigentlich noch nicht richtig fertig ist.

Will man nämlich eine CD brennen, etwas drucken oder scannen, klappt das oft nicht, weil der entsprechende Treiber noch nicht existiert. Bei den Anwendungen ist man meist noch darauf angewiesen, dass die Software das alte System emuliert, das nun Classic-Umgebung heißt. Denn die meisten Programme, darunter so populäre wie Word und Excel, gibt es noch nicht für die schöne neue Welt. Aber das Problem soll noch in diesem Jahr gelöst werden.

Wer einen älteren Mac für das neue System fit machen will, muss zunächst mal in die Tasche greifen und ihn auf mindestens 128 MB Arbeitsspeicher aufrüsten. Aber hey, dafür hat man schließlich einen Großrechner mit Hollywood-Look unterm Arm.

erschienen in: DIE ZEIT, 16/2001