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Ist Industrie 4.0 der neue Wachstumsmotor?

Wertschöpfungsketten digitalisieren und vernetzen sich. Alle reden vom Internet der Dinge, der Digitalisierung der Produktion, Industrie 4.0 oder gar der Wirtschaft 4.0. Nach Einschätzung des Verbands der deutschen Internetwirtschaft (Eco) werden sich die Grundsätze jener Industrie 4.0 bis 2025 in Deutschland etabliert haben, die Uhr tickt also. Dennoch, so eine neue Studie, kann nur gut jeder zweite Entscheidungsträger mit Begriffen wie Industrie 4.0, welche die Vernetzung eben jener Wertschöpfungsketten anschaulich machen soll, etwas anfangen! Droht unser Wohlstandsmotor abgehängt zu werden?

Das ist das Thema der UdLDigital Talkshow mit Kanzleramts-Chef und Bundesminister für besondere Aufgaben Peter Altmaier und Lencke Steiner, Bundesvorsitzende von „Die Jungen Unternehmer“.

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Das Veränderungspotenzial der Digitalisierung der Produktion kann nach Expertenansicht durchaus mit der Elektrifizierung verglichen werden. Beschleunigt werden Verfügbarkeit von Daten, Informationen und damit Wissen. Diese Daten und deren Echtzeitverarbeitung werden zum wichtigsten Rohstoff für Unternehmen und Staat. Aber: Kann man diese sogenannte vierte industrielle Revolution gestalten? Wenn ja wie?

Tsunami an Veränderungen

Kanzlerin Merkel mahnte beim diesjährigen World Economic Forum in Davos die anwesende deutsche Wirtschaftselite zur Eile: „Wir müssen die Verschmelzung der Welt des Internets mit der Welt der industriellen Produktion schnell bewältigen, weil uns sonst diejenigen, die im digitalen Bereich führend sind, die industrielle Produktion wegnehmen werden.“

Wahrscheinlich war ihr auch eine vor Kurzem veröffentlichte DIHK-Umfrage aufgestoßen, die ergeben hatte, dass zwei Drittel der Entscheider in eigenen Unternehmen digitale Defizite erkennen, Mittelständler im Gegensatz zu Konzernen jedoch eher Risiken als Chancen sehen und nahezu alle sich um ihre Daten sorgen. Wie kann man diesen gordischen Knoten zerschlagen?

Die Dimension der Umwälzung sollte jedem seit der aufsehenerregenden Studie The Future of Employment klar sein: Britische Forscher analysierten bei über 700 Berufen in den USA eine bis zu 80%ige Wahrscheinlichkeit von Verdrängungseffekten in den nächsten 20 Jahren. Der Forscher Jeremy Bowles kommt für Europa auf einen Wert von 54%. Was können, was müssen Politik und Wirtschaft tun?

Wirklich? Das lächeln wir doch weg?

Wir sind ein Land der Skeptiker und müssen uns für Alarmismus erst ein wenig einstimmen. Sollten wir nicht mit unserer traditionellen Produktionsexzellenz für eine Zukunft mit Industrie 4.0 fit genug sein? Smarte Dienste bieten wir ja heute schon an. OK, der deutsche Mittelstand hat schon so einige Stürme mitgemacht, die Digitalisierung der Produktion werden sie auch noch hinkriegen, machen sie bestimmt schon, reden nur nicht drüber. Mittelständler, wie etwa Festo machen Riesen-Umsätze mit industrieller Automatisierung. Sind wir besser als manche denken?

Der Automobilbau als Flaggschiff der deutschen Industrie hat doch gerade eindrücklich auf einer Messe in Las Vegas gezeigt, wie weit Audi und Mercedes beim autonomen Fahren und alternativen Energien voraus sind und das Vertrauen in die automobile Zukunft des alternativen amerikanischen Elekto-Autobauers Tesla schmilzt.

Solche Gedanken sind verbreitet. Sie sind Ausdruck eines bei uns dominierenden industriegesellschaftlichen Strukturkonservatismus und lenken vom Thema ab. Denn: Wo wird die Wertschöpfung stattfinden? Auf der Hardware-Seite also den Autos oder bei der Software? Sind wir darauf vorbereitet? Sind die Innovationen bei uns schnell genug? Die Entwicklung steht ja erst am Anfang.

Politik ist gefragt

Diese Neuerungen sollten niemanden in fatalistische Schockstarre verfallen lassen. Kühl sollte analysiert werden, wie Digitalisierung praktisch gestaltet werden kann, etwa in internationalen Standardisierungsprozessen. Welche Chance hat Deutschland da? Sind die deutschen Unternehmen, häufig genug also Mittelständler, nicht zu klein, um im Konzert der weltweiten Player mitzuspielen? Wie sieht die Zusammenarbeit mit den USA aus? Sind die dortigen Unternehmen nicht schon viel weiter? Lohnt es sich, dort noch neue Standards anzuschieben oder sollte man nicht besser kooperieren? Wie groß ist die Gefahr, dass vernetzte Maschinen zum Ziel von Hackerangriffen und Cyberspionage werden? Was haben wir etwa aus Stuxnet gelernt? Oder könnte ein Hacker BMW nur noch gelbe Autos bauen lassen, oder gar lahmlegen?

Die komplexen Abläufe werden zu einem anderen Arbeiten und einem veränderten Qualifikationsbedarf führen. Welche Rolle kann „die“ Politik überhaupt spielen? Ist sie zum Zuschauen verurteilt, weil sie nicht international genug agieren kann? Sind transnationale Unternehmen mächtiger als nationale Regierungen?

Ist die deutsche Gesellschaft fit für Industrie 4.0

Könnte es sein, dass wir durchaus die nötige Innovationsfähigkeit haben, die neuen Ideen in Startups aber aufgrund mangelnder Absorptionsfähigkeit der hiesigen Unternehmen jedoch zunehmend vom Ausland aufgekauft und damit exportiert werden? (Google kaufte seit 2001 für $20 Mrd. über 170 Unternehmen. Viele in den USA, aber auch einige Deutsche.) Wo kann der Staat Anreize schaffen?

Viel vom deutschen Wohlstand beruht auf Evolutionärem. Industrie 4.0 ermöglicht aber mehr als Verbesserungen der Wertschöpfungskette. Haben wir die nötige Querdenker-Innovationskultur, um diese Möglichkeiten auszuschöpfen? Oder muss man weiterdenken in einem Land, in dem die Bildung ja immer noch am klassischen Industriezeitalter ausgerichtet ist?

Welche Risiken für den Arbeitsmarkt stecken in der wachsenden Automatisierung? Wird die Wartung von Maschinen made in Germany zukünftig von Dienstleistern aus Asien übernommen? Oder überwiegen positive Effekte der Industrie 4.0 für uns in Deutschland.

In welche Richtung müsste es gehen?

Kommt da unser föderales Bildungssystem noch mit? Auch in der Weiterbildung? 2011 waren 45 % aller Arbeitslosen in Deutschland ohne Abschluss, bei den Erwerbstätigen hingegen hatten nur 14 % keinen. Auch deswegen forderten die fünf Wirtschaftsweisen bereits im November 2013 im Rahmen eines Gutachtens die Verbesserung der Aus- und Weiterbildungssysteme. Was ist seither geschehen?

Muss der Staat eingreifen, etwa wie in Indien: Dort gründete man nach dem Zweiten Weltkrieg spezielle Mathe- und Business-Unis, die Indian Institutes of Technology. Die Langzeitwirkung ist enorm, gut 20.000 Absolventen migrierten, viele sind heute ganz vorne mit dabei, wie etwa Googles Android-Chef Sundar Pichai. Zudem ist nicht nur an US-Elite-Unis die Mathe- und Business-Professorenschaft sichtbar indisch geprägt.