Michail Gorbatschow

Michail Gorbatschow Dreißig Sekunden mit einer Legende

Er wirkt traurig und ist hochgefährdet

Von Cherno Jobatey

Direkt vor einem wirkt er viel kleiner, das Brandmal auf  seinem  Schädel sticht ins Auge. Man blickt zweimal, weil man das Gorbatschow-Bild aus den Wendezeiten noch im Auge hat. Er ist weißhaariger geworden, die Brillengläser viel dicker. Eulenartig dahinter schnelle, wache, extrem scharf blickende dunkelbraune Augen.

Gorbi wird umringt von Kameras, er genießt das Blitzlichtgewitter. Hier ist er ein Star, was er daheim schon lange nicht mehr ist.  Mitten im Gewühle redet er mit Menschen, klopft Schultern.

Hinter Ihm drei dicke grimmige Männer mit Koffern, die weder Mienen verziehen, noch sich sonst irgendwie bewegen in ihren grausamen grauen Anzügen. Wer von hinten zu nahe kommt, den schauen sie ganz böse an und drücken ihn weg. Gorbi schwatzt auf russisch, und da stellt man sich in die Schlange um Ihm, der lebenden Geschichte, mal die Hand zu schütteln.

Grimmig prüfend die Koffermänner, der Dolmetscher erklärt. Gorbatschow murmelt was über die Wendezeit und die einzigartige Stimmung in Berlin.

Aus der Nähe wirkt er sehr ernst, fast schon traurig, redet, ohne die Lippen zu bewegen. Mein, auf russisch rausgequaeltes, ‚Danke‘ muss sehr scheusslich geklungen haben. Gorbi blickt mir in die Augen, lächelt, schüttelt den Kopf, murmelt noch was Unverständlicheres.

Die Audienz ist vorbei.

Mein Knie bleibt am steinharten Koffer eines Graumannes hängen, von dem man abprallt, wie von einer Marmorsäule. Ein lächelnder Sicherheitsbeamter klärt mich auf: Die drei Grimmigen seien russischer Geheimdienst, in den Koffern Maschinenpistolen. Die schiessen damit, ohne auszupacken. Abzug sei, wie bei James Bond der Griff. Gorbatschow sei noch immer hochgefährdet, da er in den Augen einiger das russische Weltreich zerstört habe.

erschienen in: Berliner Kurier, 30.05.2003