Wer hat Angst vorm Internet: Verlieren wir die Chancen der Digitalisierung aus dem Blick?
Es ist gar nicht so lange her, da fand jeder das Internet super. Die Digitalisierung stand für Aufbruch, Fortschritt oder auch für ein Mehr an Demokratie. Es kamen neue Produkte, neue Gesichter und wir staunten über weltweite Demokratisierungspflänzchen, etwa beim Arabischen Frühling. Aber in den letzten Monaten haben sich Ängste über das Neue breit gemacht. Zu mächtig, zu zerstörerisch, zu kulturlos.
Diese ambivalenten Gefühle zum Internet sind das Thema für Peter Tauber, Generalsekretär der CDU Deutschlands und Mike Friedrichsen, Professor für Medienökonomie und Medieninnovation.
Mit der Erfindung des Browsers, also einem simpel zu bedienenden Internetzugangsprogramm, begann das Zeitalter des Internets für alle. Das war erst in den Neunzigern und die meisten der heutigen Entscheidungsträger hatten da ihre Ausbildung bereits hinter sich. Die folgenden schleichenden Veränderungen wurden von vielen wahrscheinlich auch deswegen nicht ernst genommen, unterschätzt oder schlichtweg ignoriert.
Keiner kann ganz genau sagen, was der Auslöser für den jetzigen Stimmungsumschwung war: Vielleicht hat durch die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiter Edward Snowdon nun jeder mitbekommen, was durch Digitalisierung heute technisch möglich ist.
Andere glauben, dass die Wirtschaftselite durch Googles Milliardenkauf des Herstellers vernetzter Thermostate mit dem harmlosen Namen „Nest”, aufwachte. So sieht Bosch-Chef Volkmar Denner nun Google oder Apple als Hauptkonkurrenten.
Lautstarke Beunruhigte
Digitalisierung verändert vieles, das ist eine Binsenweisheit. Veränderung heißt aber auch Bedrohung, gerade für die Etablierten. Und gerade hat man den Eindruck, als gewännen die Beunruhigten die Oberhand. Mit dem offene Brief mit dem Titel: „Warum wir Google fürchten” von Springer-Chef Döpfner gelangte die „Nischendebatte” über die Gefahren des Netzes auch in den Fokus des politischen Mainstream.
Zum Beispiel dachte Justizminister Heiko Maas nun laut über eine „Entflechtung von Google” nach. Auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel meldete sich mit „politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte” zu Wort und EU-Kommissar Joaquín Almunia begann lautstark über die globalen Steuer-Tricksereien aus dem Silicon Valley nachzudenken, denn die Netz-Unternehmen sind besonders gut darin, auf ihre Milliarden-Umsätze kaum Steuern zu zahlen.
Dabei ist Kritik am Internet natürlich nicht neu: Kulturpessimisten fragen schon seit längerem: „Macht Google uns dümmer?” Führt Digitalisierung nicht zu „Digitaler Demenz”?
Selbst Hollywood-Gigant Ridley Scott trägt seine Bedenken gegen das Spielen am Bildschirm öffentlich vor: „Unsere Kinder verlernen grundlegende Fähigkeiten, um selbst kreativ zu sein… spielen Videospiele. Ich dagegen finde nichts daran verkehrt, mal ein gutes Buch in die Hand zu nehmen.”
Verlieren wir die Chancen aus dem Blick?
Digitalisierung lässt sich nicht mehr wegdiskutieren! Uns fehlen jedoch zu vielen Aspekte der gar nicht mehr so neuen Zukunftsstrategien im Umgang. “Mehr Demokratie wagen” war der Slogan einer ganzen Generation. Jetzt ist Mitbestimmung aller auf ganz andere Art möglich. Adhocrazy ließ jeden, der wollte, bei Bundestagsberatungen zum Thema Digitalisierung mitreden.
Informationen erreichen Massen nicht mehr nur durch den Filter der Medienkonzerne. Dazu haben neue Geschäfts- oder Produktideen ganz andere Zutrittschancen zu Märkten geschaffen, von denen frühere Generationen nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Manch einer spricht schon vom neuen Wirtschaftswunder durch Startups. Selbst neue Tänze, wie der Gangnam-Style, die Idee eines koreanischen Rappers, hätten nie diese rasende Verbreitung gefunden.
Ängste vor dem dann doch zu egalitären Internet?
Muss man den üblichen Kulturpessimisten eigentlich zuhören? Oder gar den „Ewiggestrigen”, die sich vor jeder Neuerung fürchten, wo doch alles so behaglich war? Machen Firmen wie Amazon, Uber oder Fidor nicht einfach nur gelebte Kultur kaputt? Gibt es ein Recht auf Bestandsschutz eines Geschäftsmodells, wie es manch einer lautstark wünscht, oder doch nicht? Sind wir zu skeptisch, zu negativ?
Bedarf es einer positiven, optimistischen und zugleich differenzierten Sichtweise auf die Digitalisierung? Wie können wir dahin kommen, die Chancen im Blick zu behalten und die Herausforderungen zu meistern? Wo sollten wir wie gestalten? Wer ist wo in der Pflicht? Was heißt das für unseren Umgang mit der Digitalisierung? Ist das Internet nicht schlussendlich das, was wir damit und daraus machen? Oder diktieren multinationale Konzerne die Bedingungen?