Katarina Barley, Ingo Dachwitz & Cherno Jobatey UdLDigital Talkshow

Unwahr, halbwahr, wahrscheinlich? Fakten und Meinungsmacht in digitalen Zeiten

Wie funktioniert politische Willensbildung in digitalen Zeiten? Wer und was beeinflussen die Meinungsbildung von Politikern? Liegt die Meinungsmacht noch bei den traditionellen Medien, oder geben bereits Social-Media-Plattformen den Takt vor? Soll man anonym in den Meinungsstreit ziehen? Das Thema der UdLDigital Talkshow mit SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, Ingo Dachwitz und Cherno Jobatey.

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Keine Angst vorm Shitstorm

Katarina Barley hat ihren ersten Shitstorm durch einen Tweet über einen Vorschlag zur Elternzeitaufteilung ausgelöst. Bedingt durch die Begrenzung auf 140 Zeichen war ein falscher Eindruck zu den Zielen der Reformidee entstanden, die eine gerechtere Verteilung der Elternzeit zwischen Vätern und Müttern fördern sollte.

„Ich nehme mir als Rheinländerin zwar viel zu Herzen, aber das verletzt mich nicht. Ich mache mir bewusst, dass die Leute nicht mich als Person meinen, sondern nur die Rolle, die ich ausübe, oder das, was ich mache“, erzählte die gebürtige Kölnerin. Auch Ingo Dachwitz geht zwar cool mit dem Phänomen Shitstorm um, gesteht aber ein, dass ihn die Reaktionen manchmal durchaus einige Stunden beschäftigen, vor allem, wenn es bei der Kritik persönlich wird.

Bei Katarina Barley hat die zuweilen unsachliche Diskussionskultur im Netz vor allem Auswirkungen auf das, was sie dort an Kommentaren an sich heranlässt. Als sie ausschließlich Abgeordnete war, habe sie Twitter häufig als Kommunikationsinstrument genutzt und gern interagiert, als Generalsekretärin habe sich das geändert. Da habe sie manche stumm schalten oder in seltenen Fällen auch blocken müssen, weil es denen ausschließlich ums „Anscheißen“ gegangen sei. Ihre Authentizität hingegen lässt sich die Sozialdemokratin trotz des oft rauen Tonfalls im Netz nicht nehmen.

In den Augen von Ingo Dachwitz ist sie damit eine Ausnahme unter den Politikern in den sozialen Medien. „Die meisten Politiker kommen dem Authentizitätsprinzip in der digitalen politischen Kommunikation nicht nach, die wenigsten nutzen es, um tatsächlich mit Leuten in Kontakt zu kommen“, kritisiert der studierte Medien- und Kommunikationswissenschaftler.

Twitter statt Bild, BamS und Glotze

Als Bereicherung empfinden beide Diskussionsteilnehmer die neue Pluralität beim Agenda Setting.

„Es gibt grundsätzlich eine Verschiebung. Marginalisierte Bewegungen schaffen es über soziale Medien in den gesellschaftlichen Diskurs zu kommen und bringen so klassische Medien dazu, zu berichten“, hebt Ingo Dachwitz hervor.

Ein Instrument, dessen sich auch politische Akteure verstärkt bedienen. Während der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor gut 15 Jahren nach eigener Aussage nur „Bild, BamS und Glotze“ zum Regieren brauchte, setzt US-Präsident Donald Trump bei der politischen Kommunikation heute hauptsächlich auf Twitter.

„Das ist spannend, was daraus wird, also quasi Regieren via Twitter − ob sich das am Ende durchsetzt, muss man ja noch sehen. Wenn er wirklich durchkommt mit den vielen Lügen, die er erzählt, und wenn er das wirklich schafft, über die sozialen Netzwerke so eine Unterstützung hinter sich zu kriegen, dass ihm das nichts anhaben kann, dann ist das wirklich eine Kulturrevolution in der Politik“, sagt Katarina Barley.

Twitter lässt sich umgekehrt aber auch für den Kampf gegen Fake News einsetzen. Wie die SPD-Generalsekretärin berichtet, habe es im NRW-Wahlkampf die Situation gegeben, dass Angela Merkel die Unwahrheit über den Abruf finanzieller Mittel zum Straßenbau gesagt habe. Die klassischen Medien hätten die Information der SPD aber nicht aufgenommen, erzählt Barley, so dass die Partei die Richtigstellung dann verstärkt über die sozialen Medien gespielt habe.

Umgang mit Fake News – ein schmaler Grat

Wie man Falschmeldungen und Hetze im Netz Herr werden soll, darüber waren sich Barley und Dachwitz uneinig. Vor allem am Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Bundesjustizminister Heiko Maas entzündete sich eine Grundsatzdebatte. Laut Gesetzentwurf sollen Plattformbetreiber unter Androhung von Geldstrafen in die Pflicht genommen werden, bestimmte Beiträge zu löschen. Die Unternehmen wollten den Umgang mit Fake News und Hate Speech lieber über das Prinzip der Freiwilligkeit lösen, „aber wenn wir sehen, dass das nicht funktioniert, müssen Regeln her“, so Barley. Natürlich könne Facebook nicht beeinflussen, was von den Nutzern gepostet wird, aber man könne erwarten, dass Facebook tätig wird, wenn die Nutzer Posts als Fake News taggen, erläuterte sie mit Verweis darauf, dass bestimmte Bilder von dem Unternehmen sehr schnell gelöscht würden.

„Diese Konzerne verdienen ein irrwitziges Geld, von denen kann man verlangen, dass sie mit journalistischen Organisationen zusammenarbeiten und Regeln durchsetzen“, forderte sie.

Ingo Dachwitz findet allerdings schon die Definition von Fake News „diskussionswürdig“ und warnt vor den möglichen Folgen des Gesetzes: „Wenn Facebook ständig Strafen drohen, wird es im Zweifelsfall eher zu viel löschen als zu wenig.“ Dies sei eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im Netz, fuhr er fort. Für Katarina Barley ist hingegen klar, dass es sich erst dann um Fake News handelt, wenn damit bewusst manipuliert werde. „Das ist aber ein wahnsinnig schmaler Grat“, in dieser Bewertung waren sich die beiden Diskutanten dann einig.

Das Recht auf die eigene Filterblase

Dissens gab es zwischen den Diskutanten beim UdL Digital Talk im BASECAMP auch beim Thema Filterblase. Während Ingo Dachwitz die Entwicklung als wenig problematisch ansieht, weil sich Menschen mit ähnlichen Weltsichten auch schon früher in Kneipen und andernorts zusammengetan hätten, plädierte Barley dafür, am Ideal einer Medienpluralität auch im Leben des einzelnen festzuhalten. Es gehe ja nicht um die selbstgewählte Filterblase, sondern darum, dass sich das System der angezeigten Informationen mit der Zeit verselbständige. Man sieht bestimmte Dinge einfach nicht mehr, weil sie einem nicht angezeigt werden“, so Barley.

Ein Pluralitätsgebot für soziale Netzwerke fände sie daher eine interessante Idee. Letztlich sei das aber keine Frage der Regulierung, sondern eine Aufgabe von Bildung, so die SPD-Generalsekretärin, die dafür bei einem anderen Thema mit ihrem Diskussionspartner auf einen Nenner kam: Ingo Dachwitz sieht Regulierungsbedarf beim Digital Advertising. „Es braucht Regeln für zielgerichtete Werbung. Es muss klar sein, aufgrund von welchen Daten ich die Werbung angezeigt bekomme“. „Bei der Diskussion um Transparenz bin ich dabei“, versprach Barley.