Steinberg: Röhren wie Hendrix

Eine kleine Hamburger Softwareschmiede setzt mit Cubase digitale Weltstandards

Hans war ein unkonzentriertes Kind. Eltern und Lehrern, die ihm deshalb Vorhaltungen machten, antwortete er, er habe so viel Musik im Kopf. Die sei spannender als Mathematik. Früher wäre so jemand als Melkgehilfe geendet. Doch aus Hänschen, dem schlechten Schüler, der kein Instrument richtig beherrschte, wurde Hans Zimmer  Oscar-Preisträger und einer der erfolgreichsten lebenden Komponisten.
Möglich machte es die Software der kleinen Hamburger Firma Steinberg  mit 130 Mitarbeitern und 20 Millionen Euro Umsatz. Die beiden Unternehmensgründer Charlie Steinberg und Manfred Rürup
haben mit Tüftlersinn und Kreativität in ihrem Bereich die weltweite Marktführerschaft erobert. Auch wenn der für 2000 geplante Börsengang dem Platzen der Technologieblase zum Opfer fiel – im Grenzgebiet von Musik und Technik setzte Steinberg die Standards.

Und das seit Beginn der 80er Jahre. In einer Zeit in der die Speicher der Rechner noch „klein und teuer und die Prozessoren lahm waren“, wie sich Toningenieur Steinberg erinnert, waren er und Keyboarder Rürup dennoch überzeugt, dass auch Computer musikalisch sind. Die limitierten Rechnerkapazitäten machten allerdings es nötig, „die Datenmengen so klein wie möglich zu halten“. Das brachte Steinberg auf eine Idee. Er speichert – anders als etwa ein Tonband – nicht die voluminösen Klänge der Keyboards selbst, sondern nur die wenige Byte kleinen Steuerbefehle, die dem Synthesizer sagen, wie lange ein Ton in welcher Höhe im richtigen Rhythmus zu klingen hat. Fachleute nennen das Sequencing.

Wie radikal neu diese Idee war, bemerkten Steinberg und Rürup erst, als sie ihren Commodore-Computer C64 mit einem Keyboard verbinden wollten. Auf dem Weltmarkt gab es dafür keine Technik. So bauten sich die beiden die nötige Technik eben selbst. Mit diesem ersten Software-Sequenzer, in den man Musik wie auf ein Ton-band speichern konnte, legten die beiden Tüftler vor zwanzig Jahren den Grundstein für ihre Firma Steinberg Media.

Doch Industrie und Handel nahmen die Erfindung zunächst nicht an. Erst wachsende Rechenpower und graphische Betriebssysteme
zur Computersteuerung verhalfen der Idee zum kommerziellen Durchbruch. Denn auf dem Monitor sah der Sequenzer plötzlich aus wie ein Mehrspurtonbandgerät. Und mussten sich die Beatles noch mit vier Tonspuren rumplagen, arbeiteten Steinbergs Rechnern bis zu 24 Datenspuren, die die Keyboards ansteuerten.

Die Folgen der Cubase genannten Software aus Hamburg für den Musikbetrieb waren enorm: Unsauber eingespielte Noten ließen sich mit der Maus „geraderücken“ – quantisieren, wie Musiker das vornehm nennen. Atemberaubende Tempi und damit Unspielbares war auf einmal möglich – selbst für Leute, die gar kein Instrument beherrschten. Mit Hilfe einiger Mausklicks konnten sie jeden Schlagzeuger, Flötisten oder Cellisten schlagen. Plötzlich konnten Leute Musik machen, die zwar musikalisch waren, aber nie ein Instrument richtig gelernt hatten.

Die beiden Tüftler trieben die Entwicklung immer weiter. Waren am Anfang die Computer noch mit Tonbandmaschinen gekoppelt, so erlaubte zunehmende Rechenpower bald bessere Lösungen „Wir wollten nicht mehr nur die Steuerbefehle verwalten“, so Steinberg, „sondern mit unseren Programmen gleich alles aufnehmen“.

Mit VST,  der Virtuellen Studio Technologie, setzte Steinberg zum zweiten Mal einen weltweiten Standard. Heute arbeitet Stevie Wonder genauso mit VST wie Kylie Minogue. Zur Durchsetzung der Software half ein Marketingtrick, den sich Steinberg von der Linux-Gemeinde abguckte: Er veröffentlichte den Programmcode im Internet, ebenso wie die Details seiner parallel entwickelten ASIO (Audio Stream In Out) Technologie, mit deren Hilfe Steinbergs Software mit der Hardware kommuniziert.

Drittfirmen entwickelten seither jede Menge Zusatzfunktionen für VST und ASIO, die damit in der Branche zu Defacto-Standards wurden. Längst gibt es spezielle Hall- und Echoprogramme und jede Menge digitalisierte Instrumente in CD-Qualität. Selbst die legendäre Hammondorgel passt nun auf jede Festplatte. Technofreaks stöpseln sogar ihre Gitarre in den Laptop und ein spezielles VST-Programm lässt sie röhren als griffe Jimi Hendrix in die Saiten. Zum Preis eines gebrauchten Golf kann heute jeder so klingen wie die Stars. Aber auch Filmmusiken wie die zu Gladiator, Titanic oder Independence Day entstanden im virtuellen Tonstudio „Cubase VST“ – es ist viel billiger und doch klanglich auf dem Level der legendären Londoner Abbey Road Studios.

Wie groß die Perspektiven der Technologie sind, zeigt die Tatsache, dass die Computerfirma Apple in diesem Sommer Steinbergs ewigen Konkurrenten, die 1992 ebenfalls in Hamburg gegründete Firma Emagic gekauft hat. Branchengerüchten zu Folge für einen „zweistelligen Millionenbetrag“. Spätestens seitdem wetten viele in der Szene, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis Microsoft für noch viel mehr Geld bei Steinberg einsteigt.

Von Cherno Jobatey,

erschienen in: Wirtschaftswoche Nr. 46 / 07.11.2002