Vortrag: Das System Amerika, der manchmal schwer verständliche Freund

„Amerika, dieses ist die neue Welt, nicht die heutige, schon europäisierend abgewelkt.”, dichtete Heinrich Heine schon vor langer Zeit. Tief in uns drinnen scheint da seit langem eine Sehnsucht zu sein – nach… ja wonach eigentlich? Sicherlich viele waren im Urlaub schon mal da, aber was treibt uns geistig und kulturell in Richtung Amerika? Warum richten wir so viele Dinge an amerikanischen Gepflogenheiten aus?

Obama-Präsidentschaft

Amerika – was immer das auch ist – zu verstehen, ist nicht einfach. Die Obama-Regentschaft war voller Widersprüche. So wurden etwa die schlingernden Banken und die schwindsüchtige Autoindustrie gerettet, nachdem ihr bevorstehender Kollaps als tödliches Risiko fürs gesamte System erkannt worden war. Von konservativer Seite, vom Big Business, kam wenig Unterstützung, eher Protest.
Als Obama ankündigte, sein Wahlkampf-Versprechen einzulösen und in Amerika, dem reichsten Land der Welt, eine allgemeine Krankenversicherung einzuführen, erhob sich ein Proteststurm, den es in dieser Heftigkeit seit Vietnam nicht gegeben hatte.

Kampf um Krankenversicherung

Eine neue politische Bewegung, die „Tea-Party“ entstand, die man am rechten politischen Ende der Republikaner einordnen könnte. Wütende Proteste zogen sich über Monate hin, Kommentatoren sahen Obama angezählt. Als dann auch noch in Massachusetts ein demokratischer Erbhof bei einer Senatsnachwahl verloren ging, sahen nicht wenige Obama als politisch „lahme Ente“, hatte er doch die wichtige, weil kugelsichere „Filibuster“-Mehrheit (was ist das eigentlich?) verloren.
Am Ende kam die Gesundheitsreform doch, Obama war strahlender Sieger. In Amerika gibt es nun etwas, was in den meisten Industrieländern so selbstverständlich ist wie Kanalisation: eine allgemeine Krankenversicherung.

Amerika sieht ähnlich aus, ist aber sehr anders

Viele verfolgten von der Ostseite des Atlantik kopfschüttelnd dieses Schauspiel aus der Ferne; wieso eine allgemeine Krankenversicherung Teufelszeug sein solle, und warum dies Massen von erbitterten Demonstranten auf die Straße trieb, blieb ein großes nordamerikanisches Geheimnis. Auch ist es nicht verständlich, warum Obama, schon so angezählt, doch noch gewinnen konnte.

Amerika ist anders: Eine andere Kultur, ein anderes politisches System. Nur weil alles so ähnlich aussieht, wirkt vieles vertraut und lässt uns umso ratloser zurück.

Laut Verfassung ist der Präsident schwächer ist als etwa Merkel

In seinem neunzigminütigen Vortrag erklärt Cherno Jobatey das System Amerika. Natürlich geht es auch in die Historie, um zu erklären, warum von der Verfassung her der Präsident schwächer ist als etwa Merkel oder Hollande. Mit vielen multimedialen Beispielen erklärt Jobatey in seiner Präsentation, was etwa bei der Krankenversicherung Mittel-bis Unterschichtler gegen ihre eigenen Interessen auf die Straßen treibt. Und auch, warum Obama doch noch gewann, obwohl Linke wie Rechte in den USA gleichermaßen unzufrieden waren mit der Reform.

Warum Obama nach Bush haushoch gewann und das Streiten gleich weiter ging

Cherno Jobatey erzählt, warum sich Konservative vom späten George W. Bush abwandten (Bad for Business), warum Obama gewählt wurde (Sehnsucht nach internem „Nation-Building“), und warum man dann wiederum Angst hatte vor der eigenen Courage. Entfernt erinnert das an die Willy-Brandt-Wahl und die folgenden endlosen bitteren Diskussionen („Vaterlandsverräter“) um die Brandtsche Anerkennung von Nachkriegsfakten, die zu jenem Zeitpunkt bereits seit 25 Jahren Realität waren.

Referent Cherno Jobatey bereiste viele Staaten der USA

Als Cherno Jobatey vor gut zwanzig Jahren als DAAD-Stipendiat nach Kalifornien kam, wurde er sofort „californicated“ wie es die LA-Band Red Hot Chili Peppers beschreiben würde. Seitdem kann er nicht mehr davon lassen jedes Jahr sechs bis acht Wochen irgendwo in den USA zu verbringen: Mal bereist er Nord-Dakota, mal Florida, beobachtet den Trump-Wahlkampf in Wisconsin und ist häufiger im Silicon Valley.

Cherno Jobatey, der in Amerika, beispielsweise in New York oder Las Vegas auf der Bühne stand, geht natürlich auch ein auf die grundsätzlich andere Rolle der Medien, insbesondere die des Entertainment. Mit Hollywood-Mann Ronald Reagan hielten einige Techniken des Entertainments Einzug in die Politik, und der Prozess ist seitdem nicht eingeschlafen. Einige seiner One-Liner, etwa sein Motto „getting things done“ sind sprachlich noch immer allgegenwärtig.

In Amerika ist gleichzeitig vieles viel besser und vieles viel schlechter als bei uns und das macht es so faszinierend. Nachdem man die Gebrauchsanweisung Amerika von Cherno Jobatey gehört, oder besser erlebt hat, versteht man das Land besser.