Cherno Jobatey hat vom Vater nicht die Liebe zu gewienerten Schuhen geerbt. Aber seinen Durchhaltewillen.
Lächeln. Mit unglaublich weißen Zähnen. Auch wenn ich etwas ausgefressen hatte, mein Vater nahm es mit einem Lächeln. Überhaupt hat er viel gelächelt: „Ein Lächeln öffnet Herzen“, davon war er überzeugt. Deutschland war ihm zu ernst, obwohl er selbst ein ernster, hintergründiger Mensch war, der sehr viel erlebt hatte.
Mein Vater war ein Junge, als er eine der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens traf: Er sprang von einer Brücke auf ein Schiff, wurde Tage später auf hoher See erwischt und musste als Küchenjunge den Rest der Reise arbeiten. Das Schiff fuhr nach London und so wurde mein Vater Brite. Die neue Sprache (statt Wolof Englisch) und Schrift (statt arabisch lateinisch) lernte er schnell. Da er sehr groß war, wurde er in die Handelsmarine gesteckt und fuhr die nächsten zehn Jahre zur See.
Dieses Britisch-Militärische, seine Liebe zu Bügelfalten, Einstecktüchern und gewienerten Schuhen habe ich nicht von ihm geerbt, wohl aber seinen Durchhaltewillen. Im Medienbetrieb hatte ich einige NEINs!!! gehört. Aber ich glaubte immer an das, was Briten eine „Fighting Chance“ nennen. Und wartete.
Mein Vater war so stolz darauf, deutsch zu sprechen, dass er mit mir und meinen drei Geschwistern auch immer deutsch sprach. Zu Schulzeiten war ich ihm deswegen böse! Zweisprachig aufgewachsen hätte ich in Englisch immer `ne Eins gehabt.
Die westafrikanische Kultur war ihm wichtig, so dass wir neben Aschenputtel auch afrikanische Märchen kannten. Das waren wilde Geschichten, die mein Vater beim Kochen erzählte. Und es dauerte nicht lange, bis viele Kinder aus der Nachbarschaft bei uns saßen und ihm lauschten, wie er von Savannen, Löwen, Kriegern und Affenbrotbäumen erzählte. Es war ein lautes, buntes, duftendes, fröhliches Großereignis.
Zwischendurch gab er Fußballtipps, besser gesagt predigte er britische Gentlemen-Tugenden: Spiele so, dass du danach noch allen in die Augen gucken kannst, sei loyal zum Team! Man trifft alle zweimal und niemand schafft das Spiel allein. Versuche trotzdem mehr zu wissen als alle anderen.
In Gambia, der Heimat meines Vaters, spricht man Wolof und Cherno bedeutet dort „ gebildet, wissend, weise“. Ein Jobatey ist so etwas wie ein Sänger im antiken Sinne. So wie Homer mit seiner Leier die Ilias vortrug, so erzählt ein Jobatey zur Kora die Geschichte seines Volkes. Er ist quasi dessen Archivar.
Westafrikaner schmunzeln immer, wenn sie einen Nachrichtenmann im Fernsehen sehen, der „gebildeter Historienerzähler“ heißt.
Erschienen in FOCUS 46 / 2010 15.11.10