“Wozu noch Parteien in Zeiten sozialer Medien?”

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel diskutierte in der UdL Digital Talkshow mit Christoph Giesa, dem Initiator der Bürgerbewegung zur Unterstützung von Joachim Gauck als Bundespräsident, über die Auswirkungen sozialer Netzwerke auf die Politik und ihre Akteure.

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Stuttgart 21, der Atomausstieg – mittlerweile gibt es eine ganze Generation, die Politik außerhalb von Parteien macht. Groß geworden in einer Zeit, in der es die Partizipationsmöglichkeiten über das Social Web noch nicht gab, tummeln sich diese Leute heute munter auf alle möglichen sozialen Plattformen des Internet.

Im Zentrum der Debatte stand diesem Ansatz folgend die Frage, ob Parteien auch heute noch eine Existenzberechtigung haben oder inzwischen zu bloßen Zuschauern der Entwicklung geworden sind.
Sigmar Gabriel räumte ein, dass sich die Funktionen von Parteien durchaus gewandelt hätten: Sie würden heute viel weniger an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, als sie das noch vor etwa 20 Jahren getan hätten. Die Ursache dafür sieht er in der Tendenz zur Distanzierung des Volkes von Großorganisationen aller Art: Differenzierung, Individualisierung und Multioptionalität – auch wenn man mit einzelnen Standpunkten übereinstimme, wolle man sich nicht vereinnahmen lassen, nicht alles unterschreiben, nicht fremdbestimmt werden. Die sozialen Medien böten hier eine unglaubliche Erweiterung der Beteiligungsmöglichkeiten.
Dennoch vertrat der SPD-Vorsitzende die These, dass es Parteien geben müsse, da es in einer Demokratie einen Ort brauche, an dem Entscheidungen gebündelt und verantwortet würden –  nicht zuletzt, um sie für das gesamte Volk verbindlich machen zu können. Das entscheidende Kriterium hierbei sei Legitimität, die nur durch eine demokratische Wahl entstehen könne. Dieser Gedanke müsse – auch wenn er aus dem 19. Jahrhundert stamme – Gültigkeit behalten.
Auch Christoph Giesa stellte weder die Existenzberechtigung von Parteien noch die parlamentarische Demokratie an sich ernsthaft in Frage – ein Staatswesen bräuchte Institutionen. Das hieße allerdings nicht, dass diese nicht in sich wandelnden Zeiten ihre Strukturen hinterfragen und Change-Prozesse initiieren müssten.
Er stimmte Sigmar Gabriel auch darin zu, dass eine Demokratie Orte der Entscheidungen bräuchte – diese Orte gäbe es jedoch ebenso online. Was sich zurzeit manifestiere, sei das Bedürfnis der Bürger, unmittelbar mitzureden. Problematisch sei jedoch die fehlende Verbindung zu Parteien. Dieses zeige sich etwa am Beispiel der Bundesparteitage, bei denen de facto niemand aus der Basis die Chance habe, auf wichtige Themen Einfluss zu nehmen. Die Frage, die die Parteien sich stellen sollten, lautet für Christoph Giesa deswegen: Wie können wir näher an die Menschen herankommen, an welchen Orten können wir sie treffen?
Genau hierfür könnten soziale Netzwerke genutzt werden: Sie wären heute für viele das, was früher Ortsverbände waren. Stimmungen könnten sich heute ohne Parteien manifestieren – nicht zuletzt zeige dies die von ihm initiierte Gauck-Kampagne. Sigmar Gabriel stimmte hier insoweit zu, als dass auch er den sozialen Medien umfangreiche Partizipationsmöglichkeiten zusprach und gleichzeitig einräumte, dass die Parteien diese noch viel stärker ausschöpfen müssten.
Die Ursache einer zu diagnostizierenden Politikverdrossenheit liegt für ihn jedoch tiefer: Es gehe nicht darum, welche Medien genutzt würden, um mit den Bürgern in Kontakt zu treten, sondern um das, was Politik repräsentiere:  Ein Teil der Bevölkerung glaube nicht mehr, dass es in der Politik um das Verhandeln darüber, was das Beste für das Allgemeinwohl sei, gehe – für sie sei diese nur noch ein zynisches Spiel um die Macht.